Urnenfelderzeitliche Siedlung auf der Baustelle des Landesarchivs
Grabungsbericht von Bernhard Hebert und Hannes Heymans
Nach langen Vorbereitungen konnte Ende 1997 der zweite Abschnitt des Ausbaues des Steiermärkischen Landesarchivs am Karmeliterplatz in Angriff genommen werden. Dieser Bauabschnitt umfaßt vor allem die Adaptierung des zweiten Hofes des 1628/31 errichteten und 1784/89 profanierten ehemaligen Karmeliterklosters mit dem Einbau eines großen, auch mehrere Stockwerke in die Tiefe gehenden Archivaliendepots.
Die - leider oft zu wenig berücksichtigte - Sensibilität jedes Altstadtbereiches und die Möglichkeit archäologischer Funde verschiedener Epochen veranlaßten auch hier das Bundesdenkmalamt, die Aushubarbeiten konsequent zu beobachten. Anfang Jänner 1998 wurden dann in ca. 3 bis 4 m Tiefe unter dem heutigen Niveau die ersten - unerwarteten - urgeschichtlichen Spuren in Form von Keramikscherben und Erdverfärbungen entdeckt. Die daraufhin trotz schwieriger winterlicher Arbeitsbedingungen unter Mitarbeit von Fachleuten und Studierenden des Grazer Universitätsinstitutes für Klassische Archäologie sofort eingeleitete Rettungsgrabung brachte für die Geschichte von Graz unerwartete Ergebnisse.
Der spektakulärste Fund war die Entdeckung des bislang frühesten Brandgrabes der Steiermark, das von der Baggerschaufel nur leicht verletzt wurde und daher fast vollständig geborgen werden konnte. Das Grab bestand aus einem als Urne verwendeten bikonischen Keramikgefäß mit senkrechten Ritzlinien, das von Steinen eingefaßt in einem kubischen Schacht mit ca. 50 cm Seitenlänge stand. Das Grab stammt wohl aus dem 12. Jahrhundert vor Christi Geburt (in der Fachterminologie: Hallstatt A früh), aus dem Anfang einer Kulturperiode, die nach den neu auftretenden Brandgräbern als "Urnenfelderkultur" benannt wurde.
Nicht weniger wichtig sind die Befunde einer etwas jüngeren ausgedehnten Siedlung. Erstmals konnten urgeschichtliche Siedlungsreste in Graz archäologisch untersucht und damit die Bedeutung des Innenstadt-Bereiches nahe dem Schloßberg auch in dieser frühen Zeit nachgewiesen werden. Die aus Holzhütten bestehende Siedlung lag leicht erhöht auf einem Plateau, das zur damaligen Zeit im Unterschied zur heutigen Geländesituation gegen Westen hin in Richtung Schloßberg etwa zwei Meter abfiel.
Bislang können zumindest zwei Besiedlungsphasen belegt werden, die recht gut zu den vor einigen Jahren erforschten Gräbern unter der Grazer Leechkirche passen. Zur ersten Phase gehört u. a. eine aus ergrabenen Pfostenlöchern zu rekonstruierende Hütte, die einer massiven Zerstörung zum Opfer gefallen ist. Dieser Zerstörungshorizont ließ sich im gesamten Innenhof des ehemaligen Karmeliterklosters nachweisen und datiert an das Ende der Urnenfelderzeit (Hallstatt B/C Übergang, ca. 9./8. Jahrhundert vor Christi Geburt).
In der zweiten Phase wurde vermutlich das gesamte Areal planiert und stellenweise mit einer Lage von Rollsteinen gepflastert. Zu dieser Phase gehört eine "Hausgrube", die aufgrund der zahlreich gefundenen Keramikstücke bereits in die Hallstattzeit (Hallstatt C1/2, ca. 8./7. Jahrhundert vor Christi Geburt) zu setzen ist.
Neben diesen Arbeiten an der bislang ausgedehntesten urgeschichtlichen Fundstelle im Stadtzentrum von Graz wurde zuletzt noch ein Brunnen ergraben, den man wahrscheinlich beim Bau des Karmeliterklosters in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Christi Geburt errichtete und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuschüttete.
Die Arbeiten fanden in bester Kooperation mit Bauleitung und Bauausführenden statt. Die Funde sollen nach ihrer ersten restauratorischen und wissenschaftlichen Bearbeitung im Landesarchiv ausgestellt werden.